Heilung oder Unterdrückung Teil 2

 

Unterdrückung bei Hahnemann

 

 

Bereits Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, wies in seinen Schriften darauf hin, dass die Unterdrückung von Krankheitssymptomen nachteilige Folgen haben könne. Das liegt daran, dass es keine isolierten Krankheitssymptome ohne eine zugrundeliegende Verstimmung der Lebenskraft gibt (von unkomplizierten Verletzungen abgesehen). In seinem Grundlagenwerk "Organon der Heilkunst" beschreibt Hahnemann, dass die Lebenskraft alle Prozesse im Körper steuert, so auch die Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheitssymptomen. Wenn wir also Symptome beobachten, dann muss die Lebenskraft verstimmt sein, bzw. liegt ein „inneres Leiden“ vor, wie Hahnemann es im folgenden Paragraphen ausdrückte:

 

 

„… an den äußeren Teilen erscheinende Übel, Veränderungen und Beschwerden, die keine Beschädigung von außen zur Ursache haben […], haben ihre Quelle in einem inneren Leiden. Sie für bloß örtliche Übel auszugeben und bloß […] mit örtlichen Auflegungen oder anderen  Mitteln gleichsam wundärztlich zu behandeln, wie es die bisherige Medizin seit allen Jahrhunderten tat, war so ungereimt, als von den schädlichsten Folgen.“ (Organon § 187)

 

 

Seine Gedanken über den Hintergrund für diese Beobachtung schilderte er in einem weiteren Paragraphen seines „Organon der Heilkunst“:

 

 

„Offenbar entschließt sich die menschliche Lebenskraft, wenn sie mit einer chronischen Krankheit beladen ist, […] zur Bildung eines Lokal-Übels an irgendeinem äußeren Teile, bloß aus der Absicht […] das innere Übel zu beschwichtigen und auf ein stellvertretendes Lokal-Übel zu übertragen, es dahin gleichsam abzuleiten. Die Anwesenheit des Lokal-Übels bringt auf diese Art die innere Krankheit zum Schweigen, ohne sie jedoch weder heilen, noch wesentlich vermindern zu können…“ (Organon § 201)

 

 

Das ist also offenbar ein Selbstheilungsversuch durch die Produktion von Symptomen. Die Betonung liegt dabei auf VERSUCH, wie Hahnemann deutlich gemacht hat.

 

 

Um das Leben zu erhalten, macht die Lebenskraft demnach Abstriche zunächst bei den weniger lebenswichtigen Organen („Lokal-Übel“). Dadurch werden Gehirn, Herz, Leber, Nieren und andere Organe mit zentraler Bedeutung für das unmittelbare Überleben geschützt. Symptome zeigen sich daher bevorzugt an der Haut und auf den Schleimhäuten des Atmungs- und Verdauungstraktes, solange die Lebenskraft stark genug ist, solche Symptome zu produzieren. Hautausschlag, Durchfall und Schnupfen sind damit zuallererst Ventile für ein „inneres Übel“. Wenn man nun durch symptomatische Behandlung ein solches Ventil verschließt, ohne an der Ursache zu rühren, muss sich die verstimmte Lebenskraft ein neues Ventil suchen. Die Symptome wandern dabei im Verlauf einer typischen Krankengeschichte immer näher an den Kern heran und werden immer bedrohlicher. Gerne wird uns erzählt, es sei eine natürliche Folge des Alters, dass man destruktive Pathologien entwickelt (bevorzugt bei Alzheimer, Arthrose und vielen Krebs-Arten). Aber zuallererst ist es meist eine Frage von erlebten Unterdrückungen und toxischen Belastungen. Vor beinahe jeder unheilbaren Krankheit steht eine lange Geschichte von Symptomen und Behandlungen, i.d.R. über Jahrzehnte.

 

 

Das zugrundeliegende „innere Übel“ war für Hahnemann in seinen späteren Jahren vor allem die Psora. Psora kann man für die heutige Zeit in etwa so übersetzen: „Anfälligkeit für allerlei Erkrankungen, die mit Schwäche, Mangel, Überempfindlichkeit und funktionellen Störungen einhergehen, als Folge von unterdrückten Hautauschlägen in der eigenen Krankengeschichte oder bei Vorfahren.“ Damit hat sich Hahnemann in seinem Spätwerk „Die chronischen Krankheiten“ sehr ausführlich beschäftigt:

 

 

„Ich werde hier einige […] Erfahrungen anführen […] um zu zeigen, mit welcher Wut die innere Psora sich hervortut, wenn ihr das äußere, zur Beschwichtigung des innewohnenden Übels dienende Lokal-Symptom, der Haut-Ausschlag, geraubt wird. Die […] Krankheiten, welche von  solcher einseitigen Vernichtung der […]  Haut-Symptome […] entspringen, sind unzählig.“ (Die chronische Krankheiten, S. 37)

 

 

Tatsächlich umfasst die Aufzählung der krankhaften Erscheinungen, die Hahnemann allesamt als mögliche Folgen von unterdrückten Hautausschlägen betrachtete, ganze 23 Seiten! Darunter finden sich Nasenbluten, trockene Haut und Haarausfall ebenso wie Herzkrankheiten, Depressionen („Schwermut“) und Skoliose („Rückgrat-Verkrümmungen“).

 

 

 

Die „Hering´sche Regel“

 

 

Im Laufe der Geschichte haben sich viele Homöopathen Gedanken zu dieser Theorie gemacht und entsprechende Beobachtungen angestellt. Einer der einflussreichsten Homöopathen nach Hahnemann war Constantin Hering, geboren am 1.1.1800 in Oschatz, später ausgewandert nach Amerika. Nach einer Zeit in Südamerika, u.a. als Leibarzt des Gouverneurs von Surinam, ließ er sich in den USA nieder, begründete mehrere Colleges und ging als „Vater der amerikanischen Homöopathie“ in die Geschichte ein. Neben vielen anderen Verdiensten für die Homöopathie schreibt man ihm auch die sogenannte „Hering´sche Regel“ zu. Diese gibt Anhaltspunkte für die Beurteilung des Heilungsverlaufs. Naturgemäß und korrekt verlaufe die Heilung demnach:

 

  • von innen nach außen
  • von lebenswichtigen zu weniger wichtigen Organsystemen
  • von oben nach unten und
  • in der umgekehrten Reihenfolge des Auftretens von Symptomen. D.h. die zuletzt erschienenen Symptome müssen unter der korrekten Behandlung zuerst verschwinden.

 

Das war (und ist) für eine lange Zeit DER Kompass für Homöopathen, der uns helfen kann zu beurteilen, ob gerade tatsächlich Heilung stattfindet, oder nicht vielleicht doch eine Unterdrückung (von außen nach innen).

 

 

Wenn während der Behandlung von Migräne vorrübergehend Verdauungsbeschwerden auftreten, kann das als positiver Verlauf gewertet werden. Dabei verlagern sich die Symptome gleichzeitig von oben nach unten (Kopf à Bauch), vom wichtigeren zum weniger lebenswichtigen Organsystem (Gehirn à Darm) und von innen nach außen (die Darmschleimhaut ist eine innere Oberfläche und ständig im Kontakt mit der Außenwelt in Form von Nahrung). Wenn der Patient sich dann auch noch erinnert, ähnliche Beschwerden bereits früher gehabt zu haben, sind alle Kriterien erfüllt. Nicht immer ist die Sachlage so eindeutig. Kommt es z.B. bei einer abheilenden Bronchitis zu starkem Niesen, ist die Krankheit offenbar nach oben gewandert. Gleichzeitig hat sie sich aber auch nach außen bewegt. Da die Bronchien lebenswichtiger sind als die Nasenschleimhaut, wäre auch das als guter Verlauf zu werten. Patient und Behandler können zuversichtlich darauf vertrauen, dass auch das Niesen bald vorübergeht. Ganz anders sieht es aus, wenn ein Patient nach der Behandlung seiner Hämorrhoiden Bluthochdruck entwickelt. In dem Fall wird kaum jemand erwarten, dass der Blutdruck von ganz allein wieder sinkt.

 

 

Ausführliche Fallbeispiele

 

 

1. Bsp. aus „Klassische Homöopathie für die junge Familie“  von Joachim-F. Grätz (zeitgenössischer Homöopath in Oberhausen):

 

 

Ein 11-jähriges Mädchen liegt mit akutem Nierenversagen im Krankenhaus. Unter massiven Medikamentengaben (u.a. Cortison, Zytostatikum und Antibiotikum) und wiederholter Dialyse verschlechtert sich  ihr Zustand zunehmend. Der auf Wunsch der Eltern fortan begleitend behandelnde Homöopath Joachim-F. Grätz findet in der Anamnese heraus, dass vor ca. drei Wochen eine leichte Mandelentzündung antibiotisch behandelt worden war. Daraufhin waren die Halsschmerzen innerhalb von zwei Tagen verschwunden. Eine Woche danach klagte das Kind über massive Bauchschmerzen. Erneut wurde ein Antibiotikum verabreicht. Damit wurden die Bauchschmerzen aber nicht besser, stattdessen bekam das Mädchen Schwellungen an den Händen und einen Hautausschlag. In diesem Stadium wurde sie in die Klinik gebracht. Dort vermutete man aufgrund der Blutwerte einen Harnwegsinfekt, woraufhin umgehend mit einer hochdosierten antibiotischen Therapie begonnen wurde. Die Schmerzen ließen nach, aber es kam zu einer dramatischen Verschlechterung des Blutbildes und letztlich zum vollständigen Harnverhalt. Das akute Nierenversagen erforderte eine sofortige Dialyse. Soviel zur Vorgeschichte. Bis hierher könnte man glauben, dass die vielen Antibiotika (und evtl. eine Überempfindlichkeit der Patientin dagegen) für die Nierenschädigung ursächlich waren. Als Entgiftungsorgane sind die Nieren ja (ähnlich wie die Leber) besonders betroffen von den Wirkungen aufgenommener Chemikalien und Pharmaka. Ebenso könnte es sich um das natürliche Fortschreiten der Erkrankung handeln, die sich von den Antibiotika einfach nicht beeindrucken ließ. Ein Verdacht auf Unterdrückung drängt sich also nicht unbedingt auf. Aber lesen Sie weiter, wie die Genesung verläuft, dann werden Sie nicht mehr umhinkönnen, das Phänomen Unterdrückung für möglich und sogar äußerst plausibel zu halten.

 

 

Nun verabreicht der Homöopath das angezeigte homöopathische Arzneimittel. Im Gespräch mit dem behandelnden Arzt erfährt er, dass man in der Klinik mit solchen Fällen (autoimmun bedingtes Nierenversagen eines Kindes) keinerlei Erfahrung habe. Der Arzt rechne in frühestens zwei Wochen mit dem erneuten Beginn der Harnproduktion, wenn schulmedizinisch alles gut laufe. Nach einer schweren Krise setzt zweieinhalb Tage später die Harnproduktion wieder ein, zunächst eine Handvoll. Gleichzeitig melden sich die Bauchbeschwerden zurück, und das Kratzen im Hals (vergleichbar mit der Angina vor gut drei Wochen) taucht auch wieder auf. Zwei Wochen später ist die Harnproduktion bereits bei eineinhalb Liter am Tag, und die Dialyse braucht das Kind nicht mehr. Der Allgemeinzustand ist bereits viel besser. Nach nur drei Wochen ist sie komplett geheilt. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel, denn so etwas haben sie noch nie erlebt, dass ein Kind von der Dialyse wieder loskommt. Was aus dieser kurzen Zusammenfassung des Falles deutlich hervorgeht, ist, dass die alten Symptome vorrübergehend zurückkehren, während eine schwere Erkrankung ausheilt.

 

Der Gipfel der schulmedizinischen Ignoranz zeigt sich einige Zeit später, als das Mädchen wieder eine Halsentzündung hat, und die Hausärztin ihr erneut dasselbe Antibiotikum verschreibt wie zu Beginn dieser Horror-Geschichte!

 

 

2. Fall von Dorothy Shepherd (englische Homöopathin, 1885-1952) aus ihrem Buch „Magic of the Minimum Dose“, der veranschaulicht, was zu erwarten ist, wenn unterdrückende Therapien während einer laufenden homöopathischen Behandlung angewandt werden:

 

 

Eine 34-jährige Patientin litt an Husten. Sie war sehr mager und sah krank aus. Sie litt an Bronchiektasen (irreversible sackförmige Ausweitungen der Bronchien begleitet von einer chronischen Eiterung der Bronchialwand). Davor hatte sie eine Lungenentzündung gehabt. Jeden Morgen hustete sie große Mengen übelriechenden Schleims ab. Wegen des Hustens konnte sie kaum schlafen. Auch tagsüber hustete sie ständig. Sie hatte bereits viel Gewicht verloren. Dr. Shepherd untersuchte die Patientin und stellte eine Belastung des rechten Lungenflügels fest.  Nach der von ihr verordneten homöopathischen Arznei hustete die Patientin bereits in der kommenden Woche viel weniger. Die ersten beiden Tage nach der Einnahme hatte sie morgens je drei Tassen Schleim abgehustet. Seither konnte sie besser schlafen. Daraufhin bekam sie das Mittel in aufsteigenden Potenzen. Der Patientin ging es immer besser. Nach drei Monaten hatte sie schon deutlich zugenommen. Die rechte Lunge hörte sich freier an. Morgens hatte sie kaum noch Auswurf. Dr. Shepherd war nun optimistisch im Hinblick auf eine vollständige Heilung.

 

Dann bekam die Patientin einen Ausschlag am ganzen Körper. Die Ärztin war über diesen Ausschlag sehr erfreut, denn es ist für Homöopathen prognostisch ein gutes Zeichen, wenn während der Behandlung ein Hautausschlag auftritt. Das Beste ist es dann, den Hautausschlag unbehandelt zu lassen, er wird von selbst abklingen. Im vorliegenden Fall ging die Patientin leider ohne Absprache zu anderen Ärzten, die ihr wegen des Ausschlags empfahlen, Salben aus Kohlenteer aufzutragen. Sechs Monate lang schmierte die Patientin nun regelmäßig die besagten Salben, welche auch schließlich einen Erfolg zeigten: Der Ausschlag verschwand. Dafür trat aber der Husten wieder auf, ebenso das morgendliche Abhusten von übelriechendem Schleim. Der Zustand war wieder genauso, wie er vor der homöopathischen Behandlung gewesen war. Dr. Shepherd hatte leider keinen Erfolg mit ihren Versuchen, die Patientin zu überzeugen, mit dem Schmieren aufzuhören und die homöopathische Behandlung fortzusetzen.

 

 

Mit Erscheinen des Hautausschlags hätten die Bronchiektasen gemäß der Einschätzung von Dr. Shepherd nach weiteren drei Monaten ausheilen können. Sie waren unter der homöopathischen Behandlung bereits ausgetrocknet. Es war schrecklich für die Ärztin, mit ansehen zu müssen, wie die Patientin wieder kränker wurde und ihre alten Symptome zu neuer Blüte gediehen.  Dr. Shepherd sah die Patientin über weitere zwei Jahre gelegentlich, da sie sich in ebendem Krankenhaus behandeln ließ, in dem auch sie arbeitete. Leider zeigte die Patientin keinerlei Einsicht und hatte stattdessen eine riesige Angst vor dem Ausschlag, wohingegen sie sich mit dem Husten abgefunden zu haben schien. So sind sie oft, unsere Patienten: kosmetische Probleme wiegen für sie schwerer als innere Krankheiten. Auch ist es leider die Regel, dass die Patienten für jedes Problem zu einem anderen Spezialisten laufen und alles glauben und machen, was der ihnen erzählt.

 

Im 3. Teil wird zu lesen sein, wie man eigene medizinische Erfahrungen ziemlich sicher einordnen und in Zukunft Unterdrückungen vermeiden kann.